Über den Vortrag

Prof. Gosepath: Das liberale Skript ist keineswegs widerspruchsfrei. Es gibt einerseits Widersprüche zwischen Prinzipien und dessen Anwendungen (z.B. alle Formen von Diskriminierungen wie etwa Rassimus, Sexismus, Unterdückungen, Ausbeutungen etc) und zweitens Widersprüche zwischen den konstitutiven Prinzipien des liberalen Skripts. Deshalb ist das liberale Skript internen Kontestationen ausgesetzt, die eben diese Widersprüchlichkeit beklagen. Daraus resultiert oft der Vorwurf der Scheinheiligkeit oder Heuchelei gegenüber dem liberalen Skript: Es zeige nicht nur diesen Mangel an Konsistenz, sondern täusche weiterhin lobenswerte Absichten vor, die nicht seiner tatsächlichen Haltung entsprächen. Gosepath wird sich in seinem Beitrag zunächst auf den ersten Typ von Selbstwiderspruch eingehen und wie damit umzugehen ist. Sodann wird er auf interne Widersprüche auf der prinzipiellen Ebene des liberalen Skripts eingehen. Am Bespiel des Verdienst- bzw. Leistungsprinzip als Begründung für ökonomische Besserstellung im liberalen Skript, werden prinzipielle Selbstwidersprüche aufgezeigt. Es finden sich etliche Praktiken im liberalen Skript, die nicht im Einklang mit dem Leistungsprinzip stehen, aber dennoch als legitim angesehen werden. Etwa Erbschaften sowie hohes Einkommen aufgrund von natürlichen Talenten wie körperlicher Fähigkeiten, Schönheit, Sport, Geschicklichkeit etc. beruhen auf einer Lotterie der Natur. Aus dem gleichen Grund ist das Leistungsprinzip, wie es gängig im liberalen Skript interpretiert wird, sogar selbst widersprüchlich, belohnt es doch Faktoren, für die man selbst nichts kann. Dieser Befund, wenn korrekt, verlangt eine Neujustierung einiger Prinzipien innerhalb des liberalen Skripts.

Prof. Viola: Liberale Prinzipien koexistieren empirisch mit illiberalen Praktiken - nicht zuletzt in der US-Außenpolitik. Das Auseinanderklaffen zwischen Prinzipien und Praktiken können zu Legitimitäts- und Glaubwürdigkeitsverlusten führen, Kritik provozieren und kostspielig sein. Die Diskrepanz setzt Politiker unter Druck, die Kluft zwischen den Grundsätzen und der Praxis zu überwinden. Welche Argumente stehen zur Verfügung, um die Koexistenz einer Verpflichtung zu liberalen Prinzipien einerseits und illiberalen Praktiken der Außenpolitik andererseits zu erklären? Wie wird die Spannung zwischen den liberalen Grundsätzen und den illiberalen Praktiken der amerikanischen Außenpolitik rationalisiert, und was bedeuten die Rationalisierungsversuche für die Kontestation des liberalen Skripts? Prof. Viola erörtert hierfür drei Idealtypen an Rationalisierungen, die als Ausreden, Rechtfertigungen oder logische Notwendigkeiten strukturiert sind. Sie behauptet, dass führende Politiker diese Typen von Erklärungen taktisch einsetzen, um die Diskrepanz zwischen Prinzipien und Praktiken zu überwinden, um politische Konsequenzen zu steuern, die Meinung des Publikums zu beeinflussen und politische Unterstützung zu mobilisieren. Prof. Viola erörtert, wann und warum die einzelnen Erklärungstypen eingesetzt werden und welche Auswirkungen sie auf die Kontestation des liberalen Skripts haben.

Literaturhinweise

Literaturhinweise

• Gosepath, Stefan (Forthcoming), “Problems with Merit in the Liberal Economy” in: Tanja Börzel, Johannes Gerschewski, Michael Zürn (eds.), The Liberal Script at the Beginning of the 21st Century, Oxford University Press.
• Viola, L. A. (Forthcoming). Accounting for Illiberalism in American Liberal Internationalism, In. by Tanja A. Börzel, Thomas Risse, Stephanie B. Anderson, and Jean A. Garrison (Eds.). Polarization and Deep Contestations: The Liberal Script in the United States, Oxford University Press

Sprecher:innen

Prof. Dr. Stefan Gosepath

Principal Investigator SCRIPTS / Leiter des Arbeitsbereichs Praktische Philosophie, Institut für Philosophie, FU Berlin

Prof. Lora Anne Viola, PhD

Principal Investigator SCRIPTS / Co-Leiterin der Abteilung Politik, John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, FU Berlin

Besuchshinweise

• Die Ringvorlesung ist offen für alle und findet montags von 18:15 - 19:45 Uhr im Hörsaal 1b ("Rostlaube") statt
  • Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
    • U Dahlem-Dorf (U3, Bus X83, Bus M11): Eingang FU Mensa II, Otto-von-Simson-Straße 26, 14195 Berlin-Dahlem
    • U Freie Universität / Thielplatz (U3, Bus 110) oder Hittorfstr. (Bus M11): Eingang Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin-Dahlem

  Von dort aus ist der Weg zum Hörsaal 1b ausgeschildert.

• Die Vorträge können auch über einen Livestream auf der FU-Website sowie auf Abruf auf dem SCRIPTS YouTube-Kanal verfolgt werden.